DRAHTSEILAKT_S01E01 Ela 13. November 2016 Shattered Prophecy Prolog Mit einem leisen hydraulischen Zischen schloss sich das Gate hinter uns. Für einen endlosen Moment standen wir in tiefster Finsternis, bis mich das stroboskopartige Flackern der zerstörten Neonröhren über unseren Köpfen zusammen zucken ließ. In kleine Momentaufnahmen zerhackt bot sich uns das entsetzliche Bild, das mich noch lange beschäftigen würde – sofern wir das hier überlebten. Ich spürte Stanislavs Blick auf mir, froh darüber, dass er und Marduk hinter mir standen und mein Gesicht nicht sehen konnten. Wenn ich mir jetzt eine Blöße gab, würden sie keinen einzigen meiner Befehle befolgen, und der instabile Zustand des Hibyrds konnte schnell katastrophale Ausmaße annehmen. Ich bemühte mich, flach zu atmen und trat einen Schritt weiter in den Gang hinein, während ich versuchte, gleichzeitig den größten Blutlachen auszuweichen und nicht an die von der Decke hängenden Leichen zu stoßen, deren blutleere Gesichter angstverzerrt auf uns herabzusehen schienen. „Sollten wir sie nicht … abschneiden?“ Der vertraute heimatliche Akzent in der ungewohnten Stimme gab mir den Funken Haltung, den ich in diesem Wahnsinn gerade brauchte. Das – und das unverkennbare, leise knarzende Surren von Marduks mechanischem Auge, dessen prüfender Blick sich kalt in meinen Rücken bohrte. Ich wandte mich dem Preybyrd zu. „Nein. Lassen Sie sie hängen. Wir haben Wichtigeres zu tun, unser Auftrag hat höchste Priorität.“ Ich tat so, als bemerkte ich das kurze Aufflackern von ungläubigem Aufbegehren in Stanislavs Augen nicht. Es waren unsere Kameraden, deren zerstörte, geborstene Körper wie groteske Marionetten an der Decke baumelten, und ich wollte sie würdelos an Ort und Stelle verfaulen lassen? Das wollte ich keinesfalls, aber der ArcPrime hatte seine Anweisungen nur allzu deutlich formuliert. Beinahe wäre ich zusammengezuckt, als ein leises Lachen ertönte, aber ich behielt die Kontrolle, als ich mich dem Wesen zuwandte, das mehr Maschine als Mensch und mir wie alle Hibyrds von je her ein wenig unheimlich war. „Sie wollten wie ein Soldat behandelt werden. Ich behandele Sie wie einen Soldaten. Werden Sie meinen Befehlen Folge leisten, M17?“ Das spöttische Lachen verstummte, während er knirschend seinen Kopf in einem unmöglichen Winkel zu mir herumdrehte. „Jaaa… Stooormbyyyrd…“ flüsterte er zischend. Ich drehte mich um, atmete noch einmal tief ein und folgte dem Weg, der mir von den aufgespießten Kadavern zur Schaltzentrale der Zitadelle gewiesen wurde, während Marduks irres Kichern hallende Echos in die Finsternis vorauswarf. Subcom-Eintrag 1, 6. November 485 n.K., 15.01 Uhr Es ist jetzt drei Stunden her, dass wir uns in die Eingeweide der schwarzen Zitadelle begeben haben. Ich hätte nie gedacht, dass „Eingeweide“ mal so zutreffend für unser Hauptquartier sein würde. Die streng vertraulichen Berichte, die mir der ArcPrime überlassen hat, sprachen von einer feindlichen Übernahme, aber es scheint viel schlimmer zu sein. Ich versuche, einen möglichst umfangreichen Bericht auf meinem Kommunikator festzuhalten – nur für den Fall, dass wir es nicht schaffen sollten. Hoffentlich reicht die Funkdatenübertragung später aus. Mein Name ist Jekaterina Korovskaya. Ich bin Offizierin der Blackbyrds, Rang Stormbyrd, ausgebildet im Nahkampf und in der Pulsweberei. Meine Begleiter sind Stanislav Bolschakow, Rang Preybyrd, Aufklärung und Verteidigung, und M17, Codename Marduk, 72% technologisierter Hibyrd, Einsatzgebiet taktische Offensive. Der M17 hat eine Waffe Typ C2-Nukleus bei sich und zeigt Anzeichen von Aufsässigkeit. Es bleibt abzuwarten, ob hier bereits eine Infiltration stattgefunden hat. Wenn ja, möge Krymm uns beistehen. Nachdem wir den zentralen Operationsraum hinter uns gelassen haben, folgten wir der Spur aus Verwüstung in die erste Ebene. Bisher haben wir keine Überlebenden gefunden. Die Körper unserer Kameraden hängen und liegen überall herum. Zum Glück – wenn man in so einer Situation von Glück reden kann – ist der Angriff erst vor 27 Stunden erfolgt. Der Gestank hält sich noch halbwegs in Grenzen. Stanislav wäre vorhin beinahe eliminiert worden, als plötzlich ein verwundeter Kamerad auf ihn zu getaumelt kam, die erste Form von Lebenszeichen, die nicht von uns selbst stammte. Der M17 erschoss den Ankömmling kommentarlos, ohne Vorankündigung oder Warnung. Daraufhin ist Stanislav auf ihn losgegangen, was ich auf emotionaler Ebene vollkommen nachvollziehen kann, immerhin war er von Kopf bis Fuß mit den lauwarmen, schleimigen Überresten seines Bekannten besudelt. Als Marduk ihm trotz seines Gebrülls lediglich gelassen die Torsoreste zeigte, in denen sich noch ein paar Kabelüberbleibsel bewegten, beendete das Stanislavs Mordlust ziemlich schnell. Wenn der Hibyrd nicht so scharfe Augen und eine Reaktionszeit hätte, die in Mikrosekunden gemessen werden kann, dann wären wir jetzt nur noch zu zweit. Anschließend untersuchten wir die verbliebenen Stücke des Leichnams, und es ist so grauenvoll, das mir allein beim Gedanken daran die Galle hochkommt. Wie es scheint, liegt hier kein terroristischer Akt und auch kein kriegsführender Staatsstreich vor. Ohne weitere Erkenntnisse lässt es sich noch nicht mit Gewissheit sagen, aber die Vermutung liegt nahe, dass es sich um eine extraterrestrische Invasion handelt. Es sieht so aus, als ob die Wesensform in der Lage ist, gewisse unbelebte Materie zu bewegen, mit ihr in Wirtskörper einzudringen und diese dann irgendwie zu steuern. Mir fehlt die medizinische Ausbildung, aber ich habe eine Theorie. Die Entität könnte mittels der Kabel, die hier überall in den Wänden verborgen sind, eine Verbindung zum Hirnstamm und Rückenmark aufbauen und somit das vegetative Nervenzentrum stimulieren. Kurz: Es bedient sich an den Wirtskörpern wie ein Puppenspieler und bewegt sie wie Marionetten. Falls meine Vermutung einen wahren Kern beinhaltet, hoffe ich nur, dass die Wirte nicht mehr über ein eigenes Bewusstsein verfügen.. Ich höre Geräusche. >Verlassen? Y_ >Verlasse Subcom [1]. >Ende. Subcom-Eintrag 2, 6. November 485 n.K., 18.21 Uhr Mein Verdacht scheint sich zu bewahrheiten. Gerade eben wurden wir von einer Gruppe Combyrds angegriffen, die für die Wartung der Aufzüge zuständig war. Großer Gott, ich kannte zwei von ihnen. Mir ist schlecht. Der verdammte Hibyrd mustert mich, als ob ich genauso rückgratlos wäre wie die .. die Dinger, die wir töten mussten. Ich gebe zu, dass ich weiche Knie habe. Die Bedrohung ist nicht nur außerhalb meines Teams vorhanden, ich werde das Gefühl nicht los, als ob ich auf meinen eigenen Rücken aufpassen müsste. Eine falsche Bewegung, ein falscher Befehl, und der M17 könnte beschließen, dass wir einen bedauerlichen Unfall haben. Ich glaube nicht, dass er etwas von meinen Berichten hier weiß. Sicherheitshalber werde ich sie trotzdem verschlüsseln. Wie es scheint, haben wir es mit einem einzigen großen Individuum zu tun, das sich wie ein Pilz in verschiedene Wirte einklinken kann. Die einzelnen Personen bewegen sich nahezu synchron, was es zumindest bei menschlichen Körpern leicht vorhersehbar und einfach zu verteidigen macht. Stanislav hatte keine Probleme, die primitiven Schlagstöcke abzuwehren. Scheinbar ist die Kreatur mit dem Einsatz unserer hochtechnologisierten Waffen nicht vertraut, Marduks Automatikgeschosse hatten auf jeden Fall leichtes Spiel mit ihnen. Allerdings werde ich das Bild der herum wirbelnden Körper nicht so schnell vergessen. Es sah auf bizarre Weise aus, als ob sie miteinander einen Tanz aufführten. Wir sitzen gerade bei einem der Aufzüge. Stanislav schläft und der M17 befindet sich im Energiesparmodus. Wir haben ein Problem, die Türen gehen nicht auf und die Elektronik reagiert auf keine Eingabe. Offensichtlich werden wir durch die Notfallschächte über das Treppenhaus nach unten steigen müssen. Das wird nicht nur ein ziemlich großer Umweg, sondern vermutlich auch äußerst ungemütlich. Viel zu viele Ecken, an denen wir ungeschützt sind, und allein der Gedanke, sich ein paar Hundert Stufen in völliger Finsternis in die Tiefe vortasten zu müssen, lässt mich wünschen, ich wäre nie auf diese Mission geschickt worden. Aber wenn der Rat recht hat, müssen wir die zentrale Energieversorgung abkoppeln, um zumindest Teile der Zitadelle wieder zurückerobern zu können. Wir dürfen nicht scheitern. >Verschlüsselung Subcom 1,2………………………….abgeschlossen. >Enter Passwort: DidSdB12NdJX?aMhkA!_ >Verarbeitung……………….abgeschlossen. >Verlassen? Y_ >Verlasse Subcom [1,2]. >Ende. Hinterlasse eine Antwort Antwort abbrechen Deine Email Adresse wird nicht veröffentlicht.KommentarName Email Webseite Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.